Stille Traurigkeit

Leon ist ein ruhiger Junge. Er kann sich gut alleine beschäftigen und ist schnell zufriedenzustellen. Ganz anders sind seine beiden älteren Geschwister. Leon ist beliebt, hatte immer viele Freunde und Spielkameraden. Aber seit der Trennung der Eltern ist Leon lieber für sich alleine. Er ist noch ruhiger geworden. Oft ist er länger in sich gekehrt, wirkt versunken, auch abwesend. Die Erzieherin in der Kita hat die Mutter neulich darauf angesprochen. Auch die Mutter hatte Leon öfters schon beobachtet und sein sehr stilles Verhalten bemerkt.

Ruhige Kinder fallen oftmals nicht auf. Sie gelten als „pflegeleicht“, unkompliziert und gut angepasst. Und gerade in ihrer Problemverarbeitung, wie zum Beispiel die Trennung der Eltern zu bewältigen, werden Stille oftmals noch stiller. Leons Mutter hat mit der Erzieherin gesprochen und sie über die neue Familiensituation informiert. So kann auch sie als wichtige Bezugsperson helfen.

Alle Erwachsenen wissen, dass Kinder anders trauern als sie selbst. Denn eine Trennung der Eltern ist für Kinder ein Veränderungsprozess, der von Trauer begleitet wird. Sie bewältigen ihn sehr individuell. Sie brauchen dafür Zeit, Hilfe und Begleitung der Erwachsenen. Nähe von vertrauten Personen und das Gefühl von Geborgenheit hilft. Gesprächsangebote sind wichtig und die Möglichkeit, dass Zugang zu den eigenen Gefühlen gefunden werden kann. Kinder sollten vermittelt bekommen, dass sie in Ordnung sind, dass sie ihre Gefühle zeigen und ausleben dürfen.

So kann es auch ruhig vorkommen, dass Leon die Traurigkeit der Mutter sieht. Beide können gemeinsam trauern und weinen. Lassen sich alle auf einen solchen Prozess ein, kann er bewältigt und schließlich abgeschlossen werden.


Von Ulrike Elbers, Familientherapeutin/Supervisorin – Wuppertal
Veröffentlicht in Westdeutsche Zeitung, WZ, Kolumne: Beziehungen am Samstag 15. Februar 2014