Auftanken
In letzter Zeit ist Simon oft unzufrieden, müde und erschöpft. Er hat häufig Kopfschmerzen und Muskelverspannungen. Der Hausarzt konnte keine körperliche Ursache finden. Einerseits ist Simon erleichtert darüber. Andererseits muss er sich jetzt mit seinem Berufsstress auseinandersetzen. Das war nämlich die Einschätzung des Hausarztes – Stress-Syndrom.
Simon wusste schon länger, dass seine Arbeitsanforderungen in den letzten Jahren ständig angestiegen waren. So wie er bemerkten es die meisten Kollegen. Die Leistungsmöglichkeiten der Mitarbeiter wurden meistens überschritten. Nun war Simon auch am Anfang der Stressspirale angelangt. Sein Körper und sein Gefühl zeigten ihm einen Alarm an.
„Und welche Tankstellen, welche Auftankstationen haben Sie?“ – die Frage des Arztes konnte Simon nur sehr notdürftig beantworten. Letztendlich hatte er in den zurückliegenden Monaten nur bei Urlaubsreisen ausgespannt. Ansonsten machte er neben Arbeit und Familie nichts weiter. Wie Simon geht es vielen Menschen. Sie sind eingespannt in ihre Pflichten und Aufgaben. Sie sorgen für alles und alle. Nur für sich selbst sorgen sie nicht.
Simon fertigte als nächstes eine Liste für sich an. Einmal schrieb er auf, welche Tankstellen für ihn immer wichtig gewesen waren – Sport, Freunde, Musikmachen. Die nächsten Überlegungen betrafen den Arbeitsplatz, zum Beispiel, wie kann ich demnächst meine Pause machen, mit wem, wo esse ich statt am Computer? Simon wurde nach allen diesen Überlegung sehr deutlich, dass sein persönlicher Energietank sehr leer sein musste. Er hatte keine Auftankstationen für sich mehr genutzt. Sein erster Schritt war nun, eine Tankstelle für die Arbeit fest zu installieren. Auch für sein Privatleben wählte er eine aus – ein sehr entspannter Abend mit den Freunden hatte danach schon stattgefunden.
Von Ulrike Elbers, Familientherapeutin/Supervisorin – Wuppertal
Veröffentlicht in Westdeutsche Zeitung, WZ, Kolumne: Beziehungen am Samstag 6. Dezember 2014