Selbstwahrnehmung
„Mama, ich bin so müde“ – Linda unterbricht das Weihnachtsbasteln und legt sich auf die Couch. „Ich bin wütend auf Max“ – auch Jasper kann genau sagen, was gerade mit ihm los ist. Beide Kinder beweisen ihre gute Selbstwahrnehmungsfähigkeit. Sie nehmen sensibel wahr, wie sie sich fühlen und welche Bedürfnisse sie gerade haben. Und Beide fassen dies in Worte.
Selbstwahrnehmungsfähigkeit – ein Verständnis haben für die eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse, aber auch für die eigenen Stärken, Werte, Schwächen, Möglichkeiten und Grenzen.
Das ist gar nicht so einfach. Kinder besitzen meistens diese Fähigkeit und können die passenden Worte finden. Ihre Fähigkeit hat sich gebildet und es ist wichtig, dass sie erhalten bleibt. Denn wenn Selbstwahrnehmungsfähigkeit stetig unterdrückt oder zumindest nicht gefördert wird, nehmen Menschen sich selbst irgendwann nicht mehr genügend wahr.
Zum Beispiel nehmen wir nicht wahr, dass wir angespannt sind. Und merken es erst, wenn Rückenschmerzen sich melden. Wir sind stinkwütend und wehren uns dagegen, weil die Wut sich vielleicht gegen ein Familienmitglied oder den Chef richtet. Das Bedürfnis nach Ruhe wird überschlagen und stattdessen kümmern wir uns um die Familie. Es gibt viele Beispiele im Alltag, in denen es sinnvoll erscheint, sich selbst erst gar nicht wahr zu nehmen. Oder die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, eventuell sogar zu verdrängen.
Auf Dauer kann das jedoch „nicht gut gehen“. Selbstwahrnehmungsfähigkeit und der Umgang mit den eigenen Gefühlen ist für unsere seelische und körperliche Gesundheit wichtig. Lassen Sie Ihre Gefühle zu – zumindest sich selbst gegenüber. Denn zunächst sind Gefühle für jeden selbst immer richtig. Es gibt keine „falschen Gefühle“.
Von Ulrike Elbers, Familientherapeutin/Supervisorin – Wuppertal
Veröffentlicht in Westdeutsche Zeitung, WZ, Kolumne: Beziehungen am Samstag 27. November 2010