Harmonie oder Schein-Harmonie
„Stimmt genau“, „ja, finde ich auch“, „weiß nicht“ – das sind die Lieblingssätze von harmoniebedürftigen, vielleicht sogar harmoniesüchtigen Menschen. Eine Übereinstimmung, Frieden oder Eintracht ist diesen Menschen wichtig. Sie wollen auf jeden Fall Misstöne, ungute Gefühle oder Spannungen vermeiden. Vieles wird unter den Teppich gekehrt. Oder es wird schön geredet. Nicht wahrhaben wollen, nicht darüber reden – sind vorherrschende Verhaltensweisen.
Im Alltag wird dadurch dem Ärger aus dem Weg gegangen. Bei Meinungsverschiedenheiten wird umgehend eingelenkt. Konflikten werden vermieden und „faule“ Kompromisse geschlossen. Doch gerade durch diese vordergründig positiven Verhaltensweisen kommt es zu immer schlechter werdenden Zuständen – in der Partnerschaft, in der Familie, im Freundeskreis, im Betrieb. Dauerhaft machen diese Verhaltensweisen unzufrieden oder krank.
Harmoniebedürftige Menschen gehen oftmals davon aus, dass sie durch Auseinandersetzungen oder Streit ihrer Beziehung schaden würden. Sie haben Angst, dass sie negative Konsequenzen erleben können, zum Beispiel ihnen Zuneigung und Vertrauen entzogen werden. Schlimmstenfalls befürchten sie, dass in ihrer Beziehung oder Freundschaft etwas kaputt gehen kann. Dass sie einen wichtigen Menschen verlieren. Das Vertrauen in sich und den anderen fehlt.
Oftmals sind diese Verhaltensweisen schon lange vorhanden – sie wurden bereits in der Kindheit gelernt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie dann ihren Sinn und waren wichtig. Als erwachsener Mensch ist es allerdings wichtig zu lernen, auf die eigene innere Stimme zu hören, eigene Interessen anzusprechen und durchzusetzen, Unzufriedenheit und andere unangenehme Gefühle wahrzunehmen und gelten zu lassen. So kann echte Harmonie entstehen.
Von Ulrike Elbers, Familientherapeutin/Supervisorin – Wuppertal
Veröffentlicht in Westdeutsche Zeitung, WZ, Kolumne: Beziehungen am Samstag 2. November 2013