Stiller Heiliger Abend

In diesem Jahr wird es für Silke und Dirk einen anderen Heiligen Abend geben. Der ältere Sohn hat sich entschieden, dass er mit seiner Frau alleine feiern wird. Der jüngere Sohn wird mit Freunden in den Urlaub fahren. Die Kinder sind dem Familienweihnachtsfest entwachsen, aus den bisherigen Traditionen ausgebrochen.

Schon vor längerer Zeit hatten sie mit den Eltern über ihre Weihnachtspläne gesprochen. Silke und Dirk haben Verständnis dafür. Beiden fällt es aber dennoch schwer, an den Heiligen Abend ohne Kinder zu denken. Silke befürchtet auch, dass sie den alten Zeiten und der Atmosphäre des Familienweihnachtsfestes nachtrauern wird. Wehmut kommt auf und die Sorge, sich zu zweit einsam zu fühlen.

Alle diese Gefühle gehören aber eben auch zum Ablösungsprozess von den erwachsenen Kindern dazu. Sie brauchen ihren Raum, auch wenn wir sie gerade zu Weihnachten nicht haben möchten. Wichtig ist es, die neue Situation zu nutzen und zu überlegen, was in diesem Jahr anders sein soll. Wie soll der Heilige Abend zu zweit verbracht werden? Vielleicht soll etwas ganz Neues ausprobiert werden? Ein Weihnachtsfest zu zweit bietet die Möglichkeiten dazu. Vielleicht ist es aber auch gar nicht mehr so wichtig, Weihnachten weiterhin zu feiern.

Welche Entscheidung auch immer fällt, jetzt kann die Partnerschaft, die im familiären Feiertagsstress über viele Jahre zu kurz gekommen ist, wieder in den Mittelpunkt rücken. Silke und Dirk haben sich nach dem Gespräch mit ihren Kindern immer wieder Gedanken gemacht. Sie haben Ideen gesammelt und Vorschläge zusammengetragen. Herausgekommen ist ein Plan mit einem auswärtigen opulent Weihnachtsmenü – einmal nicht selbst kochen müssen. Anschließend wird ein feierlicher Weihnachtsgottesdienst besucht. Beide haben sich Zeit füreinander und für Stille und Besinnlichkeit gewünscht.


Von Ulrike Elbers, Familientherapeutin/Supervisorin – Wuppertal
Veröffentlicht in Westdeutsche Zeitung, WZ, Kolumne: Beziehungen am Samstag 10. Dezember 2011